Best practices sind für mittelmäßige Unternehmen

Die Zeit zwischen den Jahren versuche ich immer für einen beruflichen Rückblick zu nutzen: Was waren besondere Ereignisse, Erfahrungen, was habe ich gelernt, was möchte ich daraus für meine Arbeit mitnehmen? Dieses Jahr ist mir dabei der Podcast von Pia-Maria Thoren und der Berlin School of Creative Leadership in die Hände gefallen, den ich wohl letztes Jahr übersehen haben muss.

Pia-Maria ist eine schwedische Agile Transformation Coach – eine anspruchsvolle Profession, die meiner Meinung nach ein Gewinn für fast jedes Unternehmen ist (Agile Coaches, die sich weiterentwickelt haben zu gesamtheitlichen Change Agents). In diesem Podcast geht es um agile HR/ radical HR. Mich hat damals besonders ein Satz aufhören lassen: Best practices are for mediocre companies.
Pia-Maria bezieht den Satz auf Disruption: Wenn ich disruptiv arbeiten möchte, komme ich mit best practices nicht weiter. Gerade herausragende Unternehmen müssen heute Disruptionen machen.
Als Organisationscoach beziehe ich den Satz jedoch grundlegender auf alle Organisationsstrukturen und Veränderungsprozesse, und habe ihn seitdem häufig gebraucht. Warum?

Menschen sind komplexe Systeme, und damit auch Organisationen. Komplexe Systeme haben eine Reihe von Eigenschaften. Vereinfacht beschreibe ich sie als Systeme, deren Reaktion sich nicht vorhersagen lässt, wenn ich neue oder verändernde Impulse reingebe. Organisationen ignorieren aber auch gerne, dass sie komplexe System sind. Ihr Zweck ist, Prozesse zu beherrschen – und das versuchen sie durch Standardisierung zu erreichen.

Dieser Widerspruch hat seinen Preis. Jede Organisation ist anders, mit anderen Menschen, deren Fähigkeiten und Wünsche, anderen Herausforderungen, anderen Erfahrungen. Standardisierung bei Organisationsstrukturen und Veränderungsprozessen – also best practices – bedeutet daher, das Spezifische, das besondere Potential der Gruppe von Menschen zu ignorieren, die die Organisation bilden. Das führt – meine Hypothese – zu Mediocre Companies.

Wie weit helfen aus Ihrer Sicht best practices, wie weit behindern sie? Wo sehen Sie die Balance zwischen Beherrschbarkeit und Potentialnutzung? Wie können Sie mehr Potential nutzen und trotzdem „in Kontrolle bleiben“?